Tradition ist nicht das Halten der Asche!

Publish date: 2024-12-13

Es ist ein warmer Früh­lings­abend mitten im April. Das alt­ehr­wür­dige Schö­ne­berger Rat­haus hüllt sich in den letzten Son­nen­strahlen des Tages, als der BFC Ger­mania 1888 aus dem benach­barten Tem­pelhof zu seinem denk­wür­digen Ver­eins­ju­bi­läum ein­lädt. Dass jenes geschichts­träch­tige Gebäude, auf dessen Vor­platz der ehe­ma­lige US-Prä­si­dent John F. Ken­nedy 1963 seine legen­däre Ick bin ein Ber­liner“ Rede hielt, erst 26 Jahre nach der Grün­dung des ältesten Fuß­ball­ver­eins Deutsch­lands erbaut wurde, führt einem die 125-jäh­rige Geschichte der Ger­manen noch einmal deut­lich vor Augen.

Doch wäh­rend das Rat­haus trotz der Bom­bar­die­rung im Zweiten Welt­krieg immer noch in vollem Glanz erstrahlt, ist vom eins­tigen Ruhm des ersten Deut­schen Meis­ters im Bund Deut­scher Fuß­ball­spieler aus dem Jahr 1890 (einem Vor­läufer des spä­teren Deut­schen-Fuß­ball-Bunds) nicht mehr viel zu spüren.

Ich glaube, die Hertha durfte hier noch nicht feiern“

In einem prunk­vollen Saal im zweiten Ober­ge­schoss, mit Stuck ver­zierten Decken und zahl­rei­chen Wand­ge­mälden, wirken die Mit­glieder des BFC ein wenig ver­loren. Man könnte den Ein­druck gewinnen, dem Groß­teil der Fei­er­gäste wäre eine Grill­party bei Würst­chen und Bier lieber gewesen, als ein Sekt­emp­fang mit Schlips und im unge­liebten Anzug. Trotzdem ist Ver­eins­prä­si­dent Heinz-Diet­rich Kra­schewski Stolz auf den geschichts­träch­tigen Rahmen. Ich glaube, die Hertha durfte hier noch nicht feiern“, sagt er, kurz bevor die Ver­an­stal­tung beginnt. 

Ein biss­chen auf­ge­regt begrüßt er dann jeden ein­zelnen Gra­tu­lanten per Hand­schlag. Es werden am Ende nur knapp 60 Gäste sein, die sich bis auf wenige Aus­nahmen aus ehe­ma­ligen und gegen­wär­tigen Ver­eins­mit­glie­dern zusam­men­setzen und die Kra­schewski fast alle mit Vor­namen kennt. Kein Wunder, denn Kra­schi“, wie er von seinen Kame­raden lie­be­voll genannt wird, ist seit 50 Jahren ein Ger­mane. Er ist kein begna­deter Redner, son­dern viel­mehr das, was man als gute Seele eines Ver­eins bezeichnet. Seine spür­bare Ver­le­gen­heit über­spielt er dafür gleich zu Beginn seiner Ansprache mit Humor. Bitte sehen Sie uns klei­nere Fehler nach, das ist unsere erste 125-Jahr-Feier.“

Wowe­reit und Niers­bach sagten ab

Viel­leicht auch des­halb ist der Prä­si­dent fast schon erleich­tert, dass die ganze große Pro­mi­nenz in Person von Ber­lins Ober­bür­ger­meister Klaus Wowe­reit und DFB-Prä­si­dent Wolf­gang Niers­bach ihre Teil­nahme bereits im Vor­feld abge­sagt hatte. Ich habe vollstes Ver­ständnis, dass diese Leute nicht bei jeder Ver­an­stal­tung dabei sein können. Man hat schließ­lich nur einen Hin­tern zum drauf Sitzen“, sagt das Ber­liner Ori­ginal. Statt­dessen ist die Ver­an­stal­tung geprägt von einer fami­liären Atmo­sphäre. Ein großes Medi­en­auf­kommen, pro­mi­nente Gesichter und Blitz­licht­ge­witter sucht man an diesem Abend also ver­ge­bens. Ledig­lich ein Kame­ra­team des Rund­funk Berlin-Bran­den­burg (rbb) lässt sich für wenige Minuten bli­cken.

Die Äuße­rungen des Prä­si­denten und die äußerst schlichte Deko­ra­tion der Räum­lich­keiten – ledig­lich die Ver­eins­fahne, eine Doku­men­ten­kopie sowie ein kleiner Wimpel zieren eine auf­ge­stellte Trenn­wand – scheinen sinn­bild­lich für die Beschei­den­heit und das Kli­entel eines Ver­eins zu stehen, der mitt­ler­weile in den Nie­de­rungen der Kreis­liga B ange­kommen ist.

Den­noch lässt sich bei genauerem Hin­sehen gerade aus diesen wenigen deko­ra­tiven Details die ehr­wür­dige Tra­di­tion eines Ver­eins ableiten, der als erster reiner Fuß­ball­verein in Deutsch­land für das Renommee eines anfangs noch ver­pönten Sports der eng­li­schen Arbei­ter­klasse kämpfte. So ent­puppt sich die Doku­men­ten­kopie als ein offi­zi­elles Schreiben des Deut­schen-Fuß­ball-Bundes aus dem Jahr 1977, wel­ches dem BFC Ger­mania 1888 offi­ziell den Status als ältester Fuß­ball­verein Deutsch­lands bestä­tigt. Zwar datieren bei­spiels­weise die Grün­dungs­daten des Ham­burger Sport­ver­eins, des TSV 1860 Mün­chens oder des VfL Bochums noch weiter zurück, doch die jewei­ligen Fuß­ball­ab­tei­lungen wurden alle­samt erst nach dem Jahr 1888 ein­ge­glie­dert.

Fuß­ball als eine Art Frie­dens­stifter

Sport­lich hatten die tra­di­ti­ons­rei­chen Ber­liner im wei­teren Ver­lauf ihrer 125-jäh­rigen Ver­eins­ge­schichte nicht mehr viel zu bieten und den­noch haben die Grün­dungs­väter der Ger­manen ihre Spuren in der deut­schen Fuß­ball­ge­schichte hin­ter­lassen und wich­tige Pio­nier­ar­beit geleistet, wie Ver­eins­mit­glied und Ger­mania-Chro­nist Dr. Thomas Schreiber in seiner emo­tio­nalen Jubi­lä­ums­rede ver­deut­licht. Vor allem die Namen Georg Demmler, Fritz Box­hammer und Fritz Baum­garten fallen in diesem Zusam­men­hang immer wieder. Wäh­rend Demmler maß­geb­li­chen Anteil an der Grün­dung des Deut­schen-Fuß­ball-Bundes hatte und Box­hammer das Regel­werk aus dem Eng­li­schen ins Deut­sche über­setzte, ging Baum­garten als erster deut­scher Natio­nal­tor­wart in einem Län­der­spiel in die deut­sche Fuß­ball­ge­schichte ein. Box­hammer sah sich ebenso wie Demmler als Ent­wick­lungs­helfer des Fuß­balls in Deutsch­land und war in den Anfangs­jahren des DFB für die inter­na­tio­nalen Bezie­hungen zuständig. Er sah den Fuß­ball schon früh als eine Art Frie­dens­stifter.

Die soziale Kom­po­nente des Fuß­balls gilt bei den Tem­pel­ho­fern, die heut­zu­tage vor allem ihr ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment aus­zeichnet, als größtes Ver­mächtnis ihrer Grün­dungs­väter. Ein Ver­mächtnis was aller­dings wäh­rend der Nazi-Zeit nur allzu schnell in Ver­ges­sen­heit geriet, als der BFC Ger­mania sich bereits im Jahr 1938 mit dem Aus­schluss von jüdi­schen Ver­eins­mit­glie­dern rühmte. Des­halb appel­liert Schneider am Ende seiner Rede gerade an den sport­li­chen Nach­wuchs des Ver­eins, sich stets an diese Werte zu erin­nern und diese weiter aktiv im Ver­eins­leben ein­zu­bringen.

Am Ende: You’ll never walk alone“

Nachdem sowohl Ange­lika Schöttler als Bezirks­bür­ger­meis­terin sowie der Prä­si­dent des Ber­liner Fuß­ball­ver­bands, Bernd Schultz, ihre Glück­wün­sche in Form einer Rede über­bracht haben, wird Prä­si­dent Heinz-Diet­rich Kra­schewski in seinem Schluss­wort noch einmal phi­lo­so­phisch. Mit einem Zitat des bri­ti­schen Autors Thomas Morus trifft er seine Ver­eins­ka­me­raden mitten ins Herz. Tra­di­tion ist nicht das Halten der Asche, son­dern das Wei­ter­geben der Flamme“, sagt der sonst so schroff wir­kende Ur-Ber­liner sicht­lich bewegt, bevor er zum Sturm auf Käse­röll­chen und Fass­bier bläst. Den Raus­schmeißer lie­fert schließ­lich eine musi­ka­li­sche Dar­bie­tung eines Gos­pel­chors, der den Fuß­ball­klas­siker You’ll never walk alone“ in einer etwas gewöh­nungs­be­dürf­tigen Inter­pre­ta­tion zum Besten geben. 

Viel­leicht hätte man dem ältesten Fuß­ball­klub Deutsch­lands an einem solch beson­deren Tag ein grö­ßeres Maß an Auf­merk­sam­keit und Aner­ken­nung gewünscht. Mit einem Scheck in Höhe von 500 Euro, einer Pla­kette fürs Ver­eins­heim und ein paar warmen Worten, stell­ver­tre­tend vor­ge­tragen durch den Prä­si­denten des Ber­liner Fuß­ball­ver­bands (BFV), glänzte der DFB wieder einmal nicht in puncto Fein­ge­fühl. Doch letzt­end­lich rückten dadurch die Men­schen in den Vor­der­grund, denen der Respekt und die Aner­ken­nung für 125 Jahre Ver­eins­be­stehen gebühren – die Mit­glieder des BFC Ger­mania 1888.

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