Tradition ist nicht das Halten der Asche!

Es ist ein warmer Frühlingsabend mitten im April. Das altehrwürdige Schöneberger Rathaus hüllt sich in den letzten Sonnenstrahlen des Tages, als der BFC Germania 1888 aus dem benachbarten Tempelhof zu seinem denkwürdigen Vereinsjubiläum einlädt. Dass jenes geschichtsträchtige Gebäude, auf dessen Vorplatz der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy 1963 seine legendäre „Ick bin ein Berliner“ Rede hielt, erst 26 Jahre nach der Gründung des ältesten Fußballvereins Deutschlands erbaut wurde, führt einem die 125-jährige Geschichte der Germanen noch einmal deutlich vor Augen.
Doch während das Rathaus trotz der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg immer noch in vollem Glanz erstrahlt, ist vom einstigen Ruhm des ersten Deutschen Meisters im Bund Deutscher Fußballspieler aus dem Jahr 1890 (einem Vorläufer des späteren Deutschen-Fußball-Bunds) nicht mehr viel zu spüren.
„Ich glaube, die Hertha durfte hier noch nicht feiern“
In einem prunkvollen Saal im zweiten Obergeschoss, mit Stuck verzierten Decken und zahlreichen Wandgemälden, wirken die Mitglieder des BFC ein wenig verloren. Man könnte den Eindruck gewinnen, dem Großteil der Feiergäste wäre eine Grillparty bei Würstchen und Bier lieber gewesen, als ein Sektempfang mit Schlips und im ungeliebten Anzug. Trotzdem ist Vereinspräsident Heinz-Dietrich Kraschewski Stolz auf den geschichtsträchtigen Rahmen. „Ich glaube, die Hertha durfte hier noch nicht feiern“, sagt er, kurz bevor die Veranstaltung beginnt.
Ein bisschen aufgeregt begrüßt er dann jeden einzelnen Gratulanten per Handschlag. Es werden am Ende nur knapp 60 Gäste sein, die sich bis auf wenige Ausnahmen aus ehemaligen und gegenwärtigen Vereinsmitgliedern zusammensetzen und die Kraschewski fast alle mit Vornamen kennt. Kein Wunder, denn „Kraschi“, wie er von seinen Kameraden liebevoll genannt wird, ist seit 50 Jahren ein Germane. Er ist kein begnadeter Redner, sondern vielmehr das, was man als gute Seele eines Vereins bezeichnet. Seine spürbare Verlegenheit überspielt er dafür gleich zu Beginn seiner Ansprache mit Humor. „Bitte sehen Sie uns kleinere Fehler nach, das ist unsere erste 125-Jahr-Feier.“
Wowereit und Niersbach sagten ab
Vielleicht auch deshalb ist der Präsident fast schon erleichtert, dass die ganze große Prominenz in Person von Berlins Oberbürgermeister Klaus Wowereit und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ihre Teilnahme bereits im Vorfeld abgesagt hatte. „Ich habe vollstes Verständnis, dass diese Leute nicht bei jeder Veranstaltung dabei sein können. Man hat schließlich nur einen Hintern zum drauf Sitzen“, sagt das Berliner Original. Stattdessen ist die Veranstaltung geprägt von einer familiären Atmosphäre. Ein großes Medienaufkommen, prominente Gesichter und Blitzlichtgewitter sucht man an diesem Abend also vergebens. Lediglich ein Kamerateam des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) lässt sich für wenige Minuten blicken.
Die Äußerungen des Präsidenten und die äußerst schlichte Dekoration der Räumlichkeiten – lediglich die Vereinsfahne, eine Dokumentenkopie sowie ein kleiner Wimpel zieren eine aufgestellte Trennwand – scheinen sinnbildlich für die Bescheidenheit und das Klientel eines Vereins zu stehen, der mittlerweile in den Niederungen der Kreisliga B angekommen ist.
Dennoch lässt sich bei genauerem Hinsehen gerade aus diesen wenigen dekorativen Details die ehrwürdige Tradition eines Vereins ableiten, der als erster reiner Fußballverein in Deutschland für das Renommee eines anfangs noch verpönten Sports der englischen Arbeiterklasse kämpfte. So entpuppt sich die Dokumentenkopie als ein offizielles Schreiben des Deutschen-Fußball-Bundes aus dem Jahr 1977, welches dem BFC Germania 1888 offiziell den Status als ältester Fußballverein Deutschlands bestätigt. Zwar datieren beispielsweise die Gründungsdaten des Hamburger Sportvereins, des TSV 1860 Münchens oder des VfL Bochums noch weiter zurück, doch die jeweiligen Fußballabteilungen wurden allesamt erst nach dem Jahr 1888 eingegliedert.
Fußball als eine Art Friedensstifter
Sportlich hatten die traditionsreichen Berliner im weiteren Verlauf ihrer 125-jährigen Vereinsgeschichte nicht mehr viel zu bieten und dennoch haben die Gründungsväter der Germanen ihre Spuren in der deutschen Fußballgeschichte hinterlassen und wichtige Pionierarbeit geleistet, wie Vereinsmitglied und Germania-Chronist Dr. Thomas Schreiber in seiner emotionalen Jubiläumsrede verdeutlicht. Vor allem die Namen Georg Demmler, Fritz Boxhammer und Fritz Baumgarten fallen in diesem Zusammenhang immer wieder. Während Demmler maßgeblichen Anteil an der Gründung des Deutschen-Fußball-Bundes hatte und Boxhammer das Regelwerk aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte, ging Baumgarten als erster deutscher Nationaltorwart in einem Länderspiel in die deutsche Fußballgeschichte ein. Boxhammer sah sich ebenso wie Demmler als Entwicklungshelfer des Fußballs in Deutschland und war in den Anfangsjahren des DFB für die internationalen Beziehungen zuständig. Er sah den Fußball schon früh als eine Art Friedensstifter.
Die soziale Komponente des Fußballs gilt bei den Tempelhofern, die heutzutage vor allem ihr ehrenamtliches Engagement auszeichnet, als größtes Vermächtnis ihrer Gründungsväter. Ein Vermächtnis was allerdings während der Nazi-Zeit nur allzu schnell in Vergessenheit geriet, als der BFC Germania sich bereits im Jahr 1938 mit dem Ausschluss von jüdischen Vereinsmitgliedern rühmte. Deshalb appelliert Schneider am Ende seiner Rede gerade an den sportlichen Nachwuchs des Vereins, sich stets an diese Werte zu erinnern und diese weiter aktiv im Vereinsleben einzubringen.
Am Ende: „You’ll never walk alone“
Nachdem sowohl Angelika Schöttler als Bezirksbürgermeisterin sowie der Präsident des Berliner Fußballverbands, Bernd Schultz, ihre Glückwünsche in Form einer Rede überbracht haben, wird Präsident Heinz-Dietrich Kraschewski in seinem Schlusswort noch einmal philosophisch. Mit einem Zitat des britischen Autors Thomas Morus trifft er seine Vereinskameraden mitten ins Herz. „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“, sagt der sonst so schroff wirkende Ur-Berliner sichtlich bewegt, bevor er zum Sturm auf Käseröllchen und Fassbier bläst. Den Rausschmeißer liefert schließlich eine musikalische Darbietung eines Gospelchors, der den Fußballklassiker „You’ll never walk alone“ in einer etwas gewöhnungsbedürftigen Interpretation zum Besten geben.
Vielleicht hätte man dem ältesten Fußballklub Deutschlands an einem solch besonderen Tag ein größeres Maß an Aufmerksamkeit und Anerkennung gewünscht. Mit einem Scheck in Höhe von 500 Euro, einer Plakette fürs Vereinsheim und ein paar warmen Worten, stellvertretend vorgetragen durch den Präsidenten des Berliner Fußballverbands (BFV), glänzte der DFB wieder einmal nicht in puncto Feingefühl. Doch letztendlich rückten dadurch die Menschen in den Vordergrund, denen der Respekt und die Anerkennung für 125 Jahre Vereinsbestehen gebühren – die Mitglieder des BFC Germania 1888.
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